Der Himmel verdunkelte sich und der Pfeilregen hörte sich an wie Eisregen. Minutenlang bohrten sich die todbringenden Metallspitzen in alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Dumpfe Geräusche und Jammern erfüllten das Schlachtfeld bis alles still war – unglaublich still. Das Getöse und die ohrenbetäubende Geräusche der Schlacht waren verschwunden, die Stille fühlte sich wie das Ende der Welt an. Plötzlich ein Geschrei – es war das Urgeschrei des Lebens, wie das erste Geschrei eines Babys als es zum ersten Mal nach der Geburt seine Lungen mit Luft füllt und das Leben begrüßt – es war das Geschrei der Freude und der Hoffnung, das Geschrei aller, die überlebt hatten. Mein Herz raste und ich schrie so laut ich konnte mit.
Vor mir war der Feind, zwei Schritte entfernt, aber sein Gesicht war nicht voller Haß wie vor einigen Minuten, sondern voller Freude, dass er überlebt hat. Sein Blick fiel auf mich und sofort hob er reflexartig sein Schwert hoch. Aber sein Herz und Gesicht waren immer noch voller Freude. Er schmunzelte und lachte mich an, so wie ich ihn auch. Der Beinahe-Tod hatte uns vereint – wir waren Brüder, Kriegsbrüder. Wir spürten eine unglaubliche Verbundenheit. Wir schauten uns um, und kein anderer holte sein Schwert zum Schlag aus. Ich fühlte das Bedürfnis ihn zu umarmen, als plötzlich eine sehr laute Fanfarenmusik immer näher kam. Es waren die gleichen Geräusche, die mich während der Ausbildung jeden Tag begleitet hatten, ebenso auf allen anderen Schlachtfeldern der letzten 5 Jahre, Töne des Hasses, Töne des Todes. Mein Feind hörte es auch und ein Schleier von Trauer überkam unsere Gesichter – dennoch trafen sich unsere Blicke und es war klar, meinen Bruder würde ich nicht bekämpfen. Er drehte sich um und lief zu seinen Kameraden. Ich wollte mich auch umdrehen und zu meiner Einheit eilen, aber ich konnte nicht.
Mein Bein steckt fest dachte ich, und schaute nach unten. Ein Pfeil hatte mich getroffen und den Oberschenkelknochen völlig zertrümmert. Ich begann die Schmerzen zu spüren, und obwohl mir klar war, dass ich mein Bein verlieren würde, war ich doch glücklich, denn für mich war die Schlacht, der Krieg, der ständige Kampf nun zu Ende.
Meine Kameraden trugen mich zum nächsten Wagen mit weiteren Verletzten. Die nächste Garnison mit Lazarett war 200 km entfernt und wir kamen durch viele Dörfer hindurch. Ich war nicht mehr auf einem Pferd und genoss voller Stolz die bewundernden Blicke der Menschen am Strassenrand, sondern lag in dem Verletztenwagen. Als unser Wagen an den Menschen vorbeifuhr, konnte man deren Mitleid zwar erkennen, aber dennoch schauten sie erleichtert. Denn angesichts unserer Verletzungen waren sie weitgehend gesund und deren Armut hatte plötzlich für einige Minuten an Bedeutung verloren.
Nun kamen wir am letzten Dorf kurz vor dem Lazarett vorbei und ich konnte laute hämmernde Geräusche wahrnehmen. Dem örtlichen Schmied war es offensichtlich nicht wert mit seiner Arbeit aufzuhören, nur weil wir vorbeikamen.
Als mein Wagen unmittelbar auf seiner Höhe ankam, hob er seinen Blick und sah mir direkt ins Gesicht. Er liess seine Werkzeuge fallen und starrte mich unentwegt an. Ein warmes Gefühl umhüllte mein Herz und ich spürte eine ungewöhnliche Anziehung zu ihm. Kannte ich ihm? Wer war er? Offensichtlich suchten ihn ähnliche Gefühle heim, denn er lief hinter dem Wagen her, nahm meine Hand und fragte nach meinem Namen. Sein Name war Séraphin und würde mich gleich morgen früh im Lazarett besuchen.
Dort angekommen, wurde ich recht schnell operiert. Mein Bein musste komplett abgenommen werden. Das sollte mein Leben völlig verändern und das Schicksal nahm eine neue Wendung.
Der Schmied hielt sein Versprechen und besuchte mich täglich. Ich verbrachte wundervolle Momente mit ihm und wir kamen uns täglich näher. Üblicherweise recht schüchtern Fremden gegenüber, fühlte ich bei Séraphin auf Anhieb eine gewisse Geborgenheit. Die Gespräche mit ihm gaben mir Halt und Zuversicht. Ich hatte nicht nur mein Bein verloren, sondern befand mich an einem Scheideweg meines Lebens. Alles musste von Neuem beginnen. Schon nach wenigen Tagen hatten unsere Gespräche einen Tiefgang erreicht, den ich vorher nie für möglich gehalten hatte. Woher kam diese tiefe Verbundenheit gegenüber Séraphin?
Wir erzählten uns Geschichten aus unseren Leben und sprachen über unsere Träume. Schon seit einigen Jahren hatte ich ziemlich genaue Pläne über eine Zeit nach der Zeit als Soldat. Durch die vielen Einsätze geriet mein Plan jedoch immer wieder in Vergessenheit. Das Schicksal schien mir aber nun doppelt in die Hände zu spielen. Zum einen hatte die Kriegsverletzung dafür gesorgt, dass ich Zeit für meine Pläne bekam und zum anderen passte der Beruf von Séraphin genau dahinein.
Es fing alles auf einem der Feldzüge mit einem König in einem fernen Land an.
Dieser König war nicht nur unglaublich reich, sondern auch stets bedacht, seinen Untertanen etwas Gutes zu tun. Dabei warf er nicht mit Geschenken um sich, sondern ihm waren die Folgen seiner Taten wichtig. So überkam ihn eines Tages der Wunsch die Gepflogenheiten seines Volkes positiv zu verändern. Er wies die Schmieden im Land an, ein Besteckset zu entwickeln, welches aus einer Gabel und einem Messer bestehen sollte. Beide sollten in einer schönen Holzbox Platz finden. Die Schmieden sollten diese Sets an alle verschenken, die sich für die Esskultur interessierten. So sollten die kulinarischen Genüsse der Bevölkerung verbessert werden, denn wie in jedem Handwerk kommt mit besserem Werkzeug auch die Lust an der Tätigkeit selbst. Zudem sollte mit dem Geschenk eine regelrechte Welle in Richtung Esskultur angestossen und neue Gerichte kreiert werden. Auch versprach er sich davon, dass seine Untertanen die Tradition eines gemeinsamen Essens mit Freunden und Verwandten ausweiten würden.
Als ich von dieser einzigartigen Idee hörte, war ich doch sehr gespannt, ob die gewünschten Erfolge auch tatsächlich erfolgten. Und tatsächlich erlebte ich eine außergewöhnliche Gastfreundschaft in diesem Land und durfte eine wirklich atemberaubende Vielfalt an kulinarischen Spezialitäten kosten. Aus meinem Staunen wurde Respekt vor der Idee und dem Einfluss einer solchen Tat auf die Menschen und die Gesellschaft. Mein Herz begann dafür zu brennen und ich entschied selbst ein Schmied zu werden, der solche wunderbaren Bestecke anfertigt und anschliessend verschenkt.
Nun war die Gelegenheit da und ich fragte Séraphin, ob ich sein Geselle werden durfte. Als hätte er meine Frage erwartet, reagierte er gar nicht überrascht, sondern antwortete mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit, dass er mehr als glücklich wäre, mir sein Handwerk beizubringen.
Eines Tages, 4 Wochen nach der Operation, fühlte ich mich besonders einsam. Irgendwie spürte Séraphin meine Traurigkeit und wir kamen ins Gespräch. Ich begann über meine Kindheit zu erzählen und gestand ihm, dass ich meine Familie schrecklich vermisste. Da ich im Alter von 6 Jahren bei einem Raubüberfall der Normés-Ritter aus meinem Dorf entführt wurde, hatte ich nur wenige Erinnerungen an sie. Eine davon war, dass mein Vater eine ausgefallene Körperbemalung auf dem Oberarm hatte. Es war ein besonderes Tier, welches ich erst später auf meinen Missionen in Afrika als einen Löwen identifizieren konnte. Leider wusste ich nicht, was aus meinen Eltern geworden war, da ich auch den Namen meines Dorfes nicht mehr kannte.
Séraphin schaute mich an und ich erkannte, wie aufgewühlt er plötzlich war. Seine Augen waren weit geöffnet und füllten den Raum mit einer unglaubliche Güte aus. Sein Gesicht strahlte wie die Sonne und er umarmte mich so fest, dass ich kaum atmen konnte. Er zog seine Lederschürze aus und begann das Hemd hochzukrempeln. Plötzlich wurde auf seinem Oberarm das Tier sichtbar, welches ich immer in meinem Herzen getragen und nie vergessen hatte. Meine Stimme war vor Aufregung weg und ich konnte nur leise flüstern: Papa!
Dass eine Schlacht so viele positiven Wendungen und gute Ereignisse in meinem Leben bringen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich war glücklich, so glücklich.
Dieser Abend sollte allerdings der letzte sein, den der junge Soldat in den Armen seines Vaters bei Bewusstsein erleben durfte. Noch in dieser Nacht verlor er das Bewusstsein, da sein Bein sich wieder entzündet hatte. Zwei Tage später konnte die Blutvergiftung nicht mehr gestoppt werden und er verstarb. Séraphin hatte seinen Sohn zum zweiten Mal verloren und war unsagbar traurig. Diese letzten Wochen mit seinem Sohn hatten ihm aber so viel Mut, Glück und Kraft gegeben, dass er voller Energie und Zuversicht sich daran machte, den Traum seines Sohnes wahr werden zu lassen.
Er stoppte das Schmieden von Schwertern und widmete sich der Fertigung von Messern und Gabeln. Ganz wie sein Sohn ihm erzählte, liess er eine Holzbox anfertigen, in die er ein Messer und eine Gabel hineinlegte. Er verkaufte diese edle Set, verschenkte allerdings jedes zehnte Set an Personen, die gerne die Esskultur des Landes pflegen und erweitern wollten, sich dieses Besteck aber nicht leisten konnten.
© von Justin Jernoiu
die Seraphin-Sets aus unserem Sortiment
Ganz im Sinne dieser Legende gründen wir von original-laguiole.de nun eine neue Séraphin-Tradition in unserem Hause. Zwei mal im Jahr werden wir den großen Séraphin-Tag ausrufen. Wir beginnen am 18.11.2018 damit.
An diesem Tag werden bei original-laguiole.de 40 Produkte um 40% reduziert. Damit wird allen Menschen die Möglichkeit eröffnet, die wunderbaren handgearbeiteten Laguiole- und Thiers-Messer Made in France kennenzulernen.
Auch werden wir im Laufe dieses Tages insgesamt 2 Steakmesser Sets für 0,00 € einstellen – die Séraphin-Tradition lebt. Und das ist erst der Beginn!